Der Wille zum Wandel ist entscheidend
            

Was bedeutet es für Unternehmen, wenn digitale und physikalische Welt immer stärker miteinander verschmelzen? Wer profitiert, wer verliert? Bernd Gross, CTO der Software AG, über eine der mächtigsten Veränderungen in der Wirtschaft: Konnektivität..

Herr Gross, Konnektivität ist der größte Treiber für Veränderung in der Wirtschaft in diesem Jahrzehnt, sagen Sie. Was meinen Sie damit?
Software dringt immer stärker ins Herz unserer Welt ein, es prägt sie von Grund auf. Wir haben mittlerweile über fünf Milliarden Smartphone-User. Nun scheinen die alle auch vernetzt zu sein, aber das täuscht. Es handelt sich um Insellösungen. Ein Smartphone ist im Grunde nicht mehr als ein Einstiegspunkt in eine Sammlung unterschiedlicher App-Datensilos: Eins für den Fotospeicher, ein anderes für den lokalen Taxidienst und ein weiteres für die Steuerung des Smart Home. Die ganzheitliche Vernetzung der Welt und der Wirtschaft entsteht gerade erst. Sie wird unser Leben tiefgreifend verändern.

Inwiefern?
Etwa wenn wir reisen. Die Abläufe sind heute noch ziemlich umständlich und ineffizient. Es gibt System- und Medienbrüche, wir müssen warten, uns mehrfach identifizieren, etwa wenn wir fliegen, den Mietwagen abholen oder im Hotel einchecken. In einer ganzheitlich vernetzten Welt liefe das komplett digital ab. Nahtlos und reibungslos. Wir melden uns einmal mit einer Kennung im System an und können dann an allen Stationen einer Reise jeden Service bequem nutzen. Oder im Supermarkt: Wir wollen doch nicht mehr an der Kasse anstehen. Ich möchte meine Lebensmittel aussuchen, einpacken und den Laden verlassen, wie bei Amazon Go. Die Registrierung und die Bezahlung der Produkte erfolgen dann digital.

Was müssen Unternehmen tun, um solche Services künftig anbieten zu können?
Zunächst einmal müssen sie definieren, was ihr digitales Geschäftsziel ist. Das ist mühsam, niemand hinterfragt sich gerne grundsätzlich. Aber es lohnt sich. Ein Beispiel ist Octo. Das Unternehmen begann vor gut 20 Jahren, Datenanalysen für den Versicherungssektor durchzuführen. Heute zählen sie hier zu den Marktführern. Der Clou ist aber, dass Octo längst auch Dienste rund um Flottentelematik und Smart Mobility anbietet. Die Grundlage dafür ist eine riesige Datenbank mit über 267 Milliarden gesammelten Fahrdaten. Ein wahrer Schatz. Octo hat seinen Zweck – den purpose – neu definiert, und sich damit neue Erlösquellen und Kunden erschlossen. So etwas gelingt nur, wenn ich mir über das Ziel meines Unternehmens in der digitalen Welt im Klaren bin.

Resultiert daraus ein anderer Umgang mit den Kunden?
Fast immer. Bei den in puncto Konnektivität erfolgreichen Unternehmen spielt die veränderte Kundenerfahrung eine große Rolle. Wir nennen das Connected Customer Experience: digitale und analoge Welt verschmelzen, wie vorhin beim Reisen oder Einkaufen angedeutet. Ein anderes Beispiel ist Dubai, das sich konsequent als Stadt definiert, die ihre Bürger zufriedenstellen will. Aus diesem Ziel folgt fast zwangsläufig eine Vereinfachung und Digitalisierung komplexer papier-basierter Prozesse, z.B. wenn ich ein Auto an- oder ummelde oder eine Wohnung miete oder kaufe. Der Kundennutzen gibt den Takt vor..

Springen wir in den B2B-Sektor. Dort wird viel über Digital Business Excellence gesprochen. Das klingt sperrig. Worum geht es?
Business Excellence ist seit vielen Jahren das vorherrschende Unternehmensmantra, aber meist fokussiert man sich dabei auf Effizienz und Effektivität – zu Lasten von Agilität und Robustheit. Wirklich vernetzte Unternehmen haben digitale Technologien in ihre Kernprozesse eingebettet. Der Lebensmitteleinzelhändler Tesco beispielsweise hat erkannt, dass Prozesstransparenz unerlässlich ist, um schlanker und fitter zu werden und besser mit kleineren Geschäften konkurrieren zu können.

Das heißt, Business Excellence ist nach wie vor relevant?
Unbedingt. In meinen Augen ist sie der zweite große Treiber der Vernetzung. Im Kern geht es dabei um Data as a Service: Nutzern werden Daten mittels cloud-basierter Software-Tools zur Verfügung gestellt, unabhängig von der geografischen Lage oder organisatorischen Struktur. Wirklich effizient ist das aber erst dann, wenn Unternehmen ihre Business-Prozesse mit Partnern, Kunden und Lieferanten durchgängig digital gestalten und Teil des Internets der Dinge werden. So lassen sich Abläufe in Lieferketten automatisieren, digitale Zwillinge in der Fertigung etablieren oder Produktionsprognosen in Echtzeit realisieren. Das Potenzial ist groß, aber die meisten Unternehmen nutzen diese Möglichkeiten noch nicht.

Woran liegt das?
Viele Firmen, sehr oft sind es Mittelständler, wissen gar nicht, was machbar ist. Sie befinden sich immer noch in einer Art Tunnel. Irgendwann einmal führten sie die softwaregestützte Ressourcenplanung ein und verharren nun auf diesem Niveau. Es gibt niemanden, der den nächsten Schritt der Vernetzung und Automatisierung vorantreibt, weil Denken und Handeln in Silos stattfinden. Wahrhaft vernetzte Unternehmen agieren anders. Die gehen weg vom Denken in quasi-autarken Aufgabenbereichen, sie handeln funktionsübergreifend. Sie wissen, dass erst ein möglichst ungehinderter Fluss der Daten im Unternehmen Innovationen freisetzt.

Aber ist es nicht nachvollziehbar, dass Unternehmen sich scheuen, derart grundsätzliche Fragen aufzurollen?
Klar, das ist am Ende eine große Transformation, und das Top-Management, allen voran der CEO, muss sie aktiv fördern. Der Wille zum Wandel ist entscheidend. Was nicht heißt, dass man alles von heute auf morgen ändern muss. Man sollte projektspezifisch und pragmatisch starten, Schritt für Schritt, zum Beispiel indem man Excel in Frage stellt. Excel ist gut und schön, aber auf dem Shopfloor sind andere Tools himmelweit überlegen, weil sie viel mehr Informationen bieten, um besser zu planen, effizienter zu produzieren und Prozesse transparent nachzuvollziehen.

Kommen wir noch zu einem dritten Punkt. Häufig ist zu lesen und zu hören, dass für Unternehmen an digitalen Ökosystemen kein Weg mehr vorbeiführt. Ist das wirklich so?
Mittel- bis langfristig ja. Viele Unternehmen begreifen sich nach wie vor als verantwortlich für die ganzheitliche Kundenwertschöpfung. Sie sind vertikal stark integriert. Die Zukunft gestaltet, wer sich öffnet. Man verbündet sich digital mit Partnern, die ihrerseits viel schneller Innovationen schaffen, weil sie eben auf bestimmte Details spezialisiert sind, die man selbst gar nicht realisieren kann.

Und wie funktioniert das?
Nehmen wir zum Beispiel einen Hersteller von Industrieanlagen: den Luftkompressor-Spezialisten Gardner Denver. Das Unternehmen hat einen Partner, der eine Softwareanwendung für seine Maschinen bereitstellt, bekannt als iConn, die die Betriebszeit und Leistung sicherstellt. Mit dieser Software generiert Gardner Denver indirekt über sein breites Händlernetz Umsätze. Aus der Consumer-Welt kennen wir das schon lange in Form zum Beispiel von Apples App-Store oder den Amazon Warehouses. Aber dieses Modell funktioniert nur, wenn man sich durchgängig digital mit Lieferanten, Zulieferern, Dienstleistern und Partnern vernetzt.

Vielen Unternehmen fällt es schwer, sich zu öffnen. Sie wollen den Zugang zum Kunden nicht teilen, befürchten Nachteile.
Das ist ein großes Thema. Die Vermarktung der Partner-Anwendungen und das Teilen fällt Technologie-Unternehmen, die Innovationszyklen in Wochen messen, leichter als Industrieunternehmen, bei denen Neuerungen oft Jahre dauern. Aber die Zyklen verkürzen sich rapide, alleine kann eine Firma das nicht stemmen. Ohne digitale Ökosysteme mit Partnern werden künftig keine innovativen Produkte und Dienstleistungen mehr entstehen. Wir haben eine Überzeugung, die sich fast immer als richtig erweist: Successful digital business is never done in isolation.

                    Geschichten aus einer vernetzten Welt
                

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