Die am Computer arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens soll laut einer Studie der Aikux.com GmbH aus dem Jahr 2019 jeweils durchschnittlich über 20.000 Dateien in ihren Systemen gespeichert haben. Diese wiederum enthalten zig Millionen von Daten. Um genauer zu sein: Gemäß IT-Chronicles generieren Unternehmen weltweit täglich rund 2 000 000 000 000 000 000 Byte Daten, deren Auswertung zu mehr Effizienz und Wachstum des Unternehmens beiträgt.
Dabei fallen auch immer mehr Daten an, die auf unterschiedliche Weise dokumentieren und sichtbar machen, wie und woran eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter arbeitet. Wie wirkt sich die Arbeit mit den Daten auf die Beschäftigten aus? Geraten sie dadurch unter Leistungsdruck? Fühlen sie sich gläserner und kontrollierter? Wie kann es gelingen, die Daten für Innovationen nutzbar zu machen und gleichzeitig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit Daten zu bestärken und ihre Souveränität in einer digitalen Arbeitswelt zu erhöhen?
Mit diesen Fragen hat sich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Inverse Transparenz“ beschäftigt, welches vom ISF München geleitet und in enger Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München (TUM), der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) bei der Software AG im Rahmen eines Praxislaboratoriums umgesetzt wurde. Im Mittelpunkt steht ein Softwaretool, mit dem Beschäftigte zurückverfolgen können, wer im Unternehmen ihre Daten zu welchem Zweck nutzt. Dabei dokumentiert das Tool nicht nur jeden Vorgang, sondern auch die Menschen, die damit zu tun haben, und wie sie ihn bearbeiten. Alle Aufgaben, Arbeitsschritte und auch Fehler sind hier digital „verzettelt“ und können personal zugeordnet werden. Ziel ist es, den Beschäftigten zum einen zu ermöglichen, die Erhebung und Nutzung von Daten nachzuvollziehen, zu kontrollieren und zu problematisieren. Zum anderen zielt es darauf ab, Mitarbeitende zu befähigen, sich die im Arbeitsprozess anfallenden Daten anzueignen und sie souverän nutzen zu lernen.
Welche Rolle spielen Daten für die Arbeitswelt?
In einer Welt, in der alles digital und in virtueller, kollaborativer und global verteilter Arbeit läuft, sind Daten ein permanenter Motor für Innovation und gemeinsames Lernen. Das hat die Pandemie mehr als deutlich gemacht. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten und der damit einhergehende transparente Austausch sind der Schlüssel für die Zukunft – nicht zuletzt, wenn es darum geht, kreativ und innovativ zu sein. Wir haben zwar in den letzten zwei Jahren alle gelernt, von daheim effektiv, effizient und sehr konzentriert zu arbeiten. Für Innovation und Kreativität ist es jedoch tödlich, wenn jeder allein im Homeoffice vor seinem Monitor sitzt. Mehr denn je brauchen unsere Expertinnen und Experten in den Entwicklungsteams Daten als Arbeitsgrundlage, die offen zur Verfügung stehen und auswertbar sein müssen.
Inverse Transparenz bedeutet, einen neuen Umgang mit Daten zu schaffen und diese nicht ausschließlich bei der Führungsebene zu belassen, die sie zur Steuerung des Unternehmens und zur Kontrolle nutzen. Was halten Sie von dem Konzept?
Ich halte dieses Konzept für sehr sinnvoll. Hier gilt das Prinzip „Watch the Watcher“, die Nutzung von Beschäftigtendaten soll hierbei nachvollziehbar und transparent werden. Darüber hinaus soll es die Mitarbeitenden dazu befähigen, diese Daten souverän für die Gestaltung der eigenen Arbeit zu nutzen. Es braucht aber besondere Bedingungen. Wir haben das Tool bewusst im R & D Bereich eingesetzt, da sie naturgemäß sicher und erfahren im Umgang mit Daten sind. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die
Nutzung von Tools, die Inverse Transparenz umsetzen sollen. Wer damit umgeht, muss sich zudem bewusst sein, dass damit auch eine große Verantwortung einhergeht. Diese „Awareness“ muss man kontinuierlich schulen. Nur so kann ein sinnvoller und vertrauensvoller Umgang mit Daten entstehen.
Welche Chancen öffnet die datenerzeugte Transparenz für die Beschäftigten?
Sie ermöglicht ihnen – in einem vertrauensvollen Umfeld – nicht nur einen ungezwungenen Austausch auf Ebene der Mitarbeitenden, der von ihrem kollektiven Wissen getragen wird. Es öffnen sich auch neue Potenziale für Empowerment. Wenn sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin bewusst ist: ‚Ich habe selbst einen gleichberechtigten Zugang zu Daten, ich weiß, wie und wofür ich sie nutzen kann, ich bin wichtig mit meinem Know-how und kann deswegen viel für mein Unternehmen bewirken‘, dann ist das motivierend und sinnstiftend.
Was bedeutet diese Transparenz für die Führungskräfte?
Beschäftigten einen gleichberechtigten Zugang zu Daten zu ermöglichen ist für mich ein klares Signal: Führung läuft zukünftig über Vertrauen und eine breite Selbstbestimmung. Den Paradigmenwechsel, den wir im Rahmen unseres People & Culture- Pfades angestoßen haben, treibt das weiter voran. Wir wollen bei Fachthemen einen Austausch auf Augenhöhe. Ich zum Beispiel bin abhängig von meinem Team. Denn dort liegt die Expertise. Mein Team gibt mir mit seinem Know-how den Freiraum, mich auf meine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Augenhöhe kann es aber nur geben, wenn meine Leute auf dieselben Daten zugreifen können, auf die auch ich zugreifen kann. Auch dies ist ein Aspekt, der mit der Corona-Krise eine ganz neue Dynamik bekommen hat.
Was sagen Sie denen, die Angst davor haben, dass ihre Daten missbraucht werden könnten – zum Beispiel für eine neue Form der Leistungs- und Verhaltenskontrolle?
Ich sage ihnen, dass ich auf die gut etablierten sozialpartnerschaftlichen Strukturen in der Software AG baue. Wenn wir neue digitale Systeme einführen, versuchen wir den Betriebsrat so früh wie möglich einzubinden und mitzunehmen. Damit gar nicht erst der Eindruck entstehen kann, dass hier irgendetwas im Geheimen erhoben und ausgewertet werden soll. Auch hier ist viel Kommunikation gefragt. Zum Beispiel darüber, was in diesem System geht, was nicht und zu welchem Zweck wir es einsetzen wollen. Wir müssen den Beschäftigten klar machen: Wir haben keine Ambitionen, irgendetwas zu überwachen. Unser Betriebsrat, in dem sich viele Softwareentwicklerinnen und -entwickler engagieren, ist mit Blick auf diesen
Dialog für mich eine große Hilfe.