Barkeeping und IT haben nicht viel gemein, außer dem Feierabendbier? Weit gefehlt, sagt Maurice Rijnen, Head of IT bei den Royal Swinkels Family Brewers. Er muss es wissen, denn er verantwortet dort ein großes digitales Transformationsprogramm – und war früher Barkeeper in Amsterdam.
Barkeeper und IT-Leute haben nicht viele Gemeinsamkeiten, könnte man meinen. Menschen, Entertainment und flirrendes Nachtleben dort. Projekte, Prozesse und trockener Code hier. Vielleicht genehmigen sich Menschen beider Professionen dann und wann nach der Arbeit einen kleinen Drink – aber sonst? Größere Schnittmengen wollen einem nicht einfallen.
Maurice Rijnen hingegen schon, was daran liegt, dass er beide Welten ziemlich gut kennt. Früher war er einige Jahre Barkeeper in einem Pub in Amsterdam. Heute ist er Head of IT von Royal Swinkels Family Brewers, einer familiengeführten Brauerei-Gruppe aus den Niederlanden, die zurückblickt auf eine 300-jährige Geschichte und vorausschaut in die digitale Zukunft. „Wir haben ein großes Programm aufgelegt, um uns zu transformieren und intern effektiver zu vernetzen“, sagt Maurice Rijnen. „Meine Erfahrungen als Barkeeper helfen mir dabei, das Unternehmen durch diese Veränderungen zu navigieren.“ Denn: „Letztlich geht es auch bei IT-Projekten immer um Menschen.“
Vom Barkeeper zum CIO: “It’s all about people”
Die „Intelligente Brauerei“ nennt sich das Projekt, das Rijnen und sein Team gemeinsam mit dem Vorstand von Swinkels auf den Weg gebracht haben, um die Gruppe von Innen heraus zu modernisieren. Swinkels bietet 300 verschiedene Biere in 130 Ländern an, verfügt über sechs Brauerei-Standorte in den Niederlanden, Belgien und Äthiopien und viele tausend Kunden im Einzelhandel und in der Gastronomie. Eine verschlungene Unternehmensstruktur, die transparenter und beweglicher werden soll, ja muss. „Nicht als Selbstzweck, sondern um der Zukunft willen“, betont der 45-Jährige. „Wenn wir auf unseren Märkten agil und erfolgreich bleiben wollen, müssen wir die Kundenwünsche schneller und präziser verstehen und erfüllen. Und dieses Wissen erwerben wir ganz wesentlich durch Daten.“
Swinkels Family Brauerei - ein Familienunternehmen in Niederlande blickt auf eine 300 jährige Tradition zurück.
Gutes Bauchgefühl, agile Prozesse
Ein gutes Bauchgefühl für Bier hat Swinkels seit jeher. Das Familienunternehmen mit seinen 1.800 Mitarbeitern weiß genau, dass es dabei auf handwerkliches Können, Geschmack und Identität ankommt. Ein lokales Bier ist wie ein regional geliebtes Gericht, das die Seele wärmt: Die Zutaten und das Rezept müssen stimmen, es atmet das Selbstverständnis der Menschen in einer Region. Darin besteht sein Wert und der Kern seiner Marke. Swinkels große Vielfalt an verschiedenen Biermarken ist sein Kapital, ein Segen gewissermaßen.
Im Angebot: über 300 verschiedene Bier in über 130 Ländern
Aber es ist auch ein Fluch. Denn mit dem Wachstum der Gruppe und der Vielfalt gehen Unübersichtlichkeit und Unbeweglichkeit einher. Auf Ebene der Geschäftsprozesse zum Beispiel existiert eine Gemengelage an Informationen und Abläufen. Die Grundlagen für Entscheidungen sind nicht immer verlässliche Fakten, die Klarheit fehlt. Ein Beispiel: Innerhalb der Gruppe existieren gut 2.000 verschiedene Preismodelle für Kunden. Dass das viel zu komplex und nicht nachhaltig ist, versteht sich fast von selbst. 20 bis 30 würden völlig ausreichen, sagt Maurice Rijnen und illustriert die Situation mit einem Vergleich: „Es ist so, als würde man sich in seinem eigenen Haus nicht mehr auskennen. Als wüsste man nicht, wie die Zimmer angeordnet sind und welchen Weg man gehen muss, um in den Keller oder den Garten zu kommen.“
Die „Intelligente Brauerei“ soll Abhilfe schaffen. In der ersten Phase des Programms werden bis zum Jahr 2024 zentrale Geschäftsprozesse wie „Order to Cash“, „Maintain to Operate“ oder „Source to Pay“ definiert und harmonisiert, um die Grundlage zu schaffen für eine weitergehende Digitalisierung und Automatisierung. Unterstützung leistet dabei das Tool Aris von der Software AG. Schritt für Schritt lässt es eine fein verästelte Prozess-Landkarte der gesamten Unternehmensgruppe entstehen. „Stellen Sie sich das wie ein Metro-Netz vor“, sagt Maurice Rijnen. „Wir sehen, wo ein Prozess beginnt, endet und an welchen Stellen sich Abläufe überschneiden. Damit können wir den Mitarbeitern klare Rollen zuweisen, wer was in diesem Prozess betreuen soll.“ Genau darum gehe es am Ende: Dass alle Mitarbeiter ihre Aufgaben und Kompetenzen innerhalb der Prozesse kennen. Dass sie auf Basis von Daten gute, zügige Entscheidungen treffen können.
Prozessmodellierung
Technologie + Menschen = Innovation
Maurice Rijnen ist davon überzeugt, dass der Wandel, der mit dem Projekt einhergeht, nur dann seine Kraft entfalten kann, wenn Technologie und Mitarbeiter gemeinsam wachsen. „Deshalb ist es für mich wichtig, ein motivierendes Umfeld zu schaffen, in dem alle voneinander lernen und sich weiterentwickeln wollen“, sagt er. Die Mitarbeiter in Meetings, Workshops und mit E-Learnings miteinander zu vernetzen und zu überzeugen, ihnen die Chancen der neuen Plattform nahezubringen und sie in die Lage versetzen, selbst aktiv zu werden und zu gestalten: das sind elementare Aufgaben für Maurice und sein Team.
Die intelligente Brauerei
Womit wir wieder beim Vergleich von IT-Business und Barkeeping sind. „Damals, in dem Café in Amsterdam, musste ich ständig sehr unterschiedliche Menschen und Situationen einschätzen und dafür sorgen, dass der Abend reibungslos läuft. Die Gäste sollten sich willkommen fühlen und wiederkommen.“ Bei einem großen IT-Projekt ist es ähnlich: Die Mitarbeiter müssen sich inmitten des Wandels weiter akzeptiert und zu Hause fühlen in ihrem Unternehmen. Es gehe eben nicht darum, das gewachsene Bauchgefühl für die Kunst des Bierbrauens und die Intimität der einzelnen Marken durch digitale Tools abzulösen oder zu verwässern. Ganz im Gegenteil. „Wir verknüpfen das Beste aus beiden Welten miteinander, um noch ein bisschen besser zu werden“, sagt Maurice Rijnen.
Und was wird dann ganz am Ende des Projekts kommen? Was bleibt für ihn, den Head of IT? „Nun, auch das dürfte sich in einem ähnlichen Rahmen bewegen wie nach einem langen Abend in der Bar in Amsterdam“, schmunzelt er. Ein kleines Bier zur Belohnung in der Ruhe der Nacht, nachdem die letzten Gäste gegangen sind – und später fällt man todmüde ins Bett.