Open Source ist keine Frage von Gut und Böse
            

                    Ein Kommentar von Dr. Stefan Sigg, Mitglied des Vorstands und Chief Product Officer der Software AG
                

Open-Source Software (OSS) ist überall. Kaum ein Softwareprodukt, ob als OSS bezeichnet oder als proprietär, kommt heute ohne OSS-Komponenten aus. Neue Software wird um existierende OSS-Bestandteile herum entwickelt. Als OSS eingeordnete Produkte sind in der Regel in größere Angebote verpackt und genauso kommerziell ausgerichtet wie vermeintliche Nicht-OSS-Produkte. Die Grenzen sind also fließend. Eine kategorische Unterscheidung in Gut und Böse macht daher wenig Sinn. Die Frage ist: Wie öffentliche Verwaltungen eine gesunde Balance zwischen OSS und proprietärer Software finden können, um die digitale Souveränität zu stärken und das Digitalisierungstempo zu erhöhen.

Seit Jahren versucht die Politik, die Abhängigkeiten des öffentlichen Sektors von internationalen IT-Konzernen zu minimieren und die digitale Souveränität zu stärken. Die Digitalstrategie der Bundesregierung sieht daher den prioritären Einsatz von Open-Source-Software in der öffentlichen Verwaltung vor.

Souveränität erreichen

Das Bestreben nach mehr OSS ist grundsätzlich sinnvoll. Der Einsatz von OSS kann der öffentlichen Verwaltung dabei helfen, Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern und Produkten abzubauen. Allerdings ist es gefährlich, von einigen wenigen prominenten Softwarekategorien wie Betriebssystem und Office-Anwendungen zu schnell auf die gesamte IT-Landschaft zu schließen.

Wir benötigen eine Versachlichung der teils ideologisch geführten Debatte um Open Source. Die Politik sollte nicht den Fehler begehen, OSS als alleinige Voraussetzung für mehr digitale Souveränität zu sehen. Digitale Souveränität ist ein sehr vielschichtiges Konzept, in das verschiedene Aspekte mit hineinspielen. Das reicht von Fragen der IT-Sicherheit über die Transparenz und Datenhoheit bis auch zu Fragen nach Herkunft und Marktanteilen einzelner Hersteller. Dass OSS mit Blick auf all diese und weitere Aspekte tatsächlich nur Vorteile für die Anwendenden hat und eine rigorose Vorfahrtsregelung für offene Software-Lösungen daher uneingeschränkt gut zu heißen ist, darf jedoch eher bezweifelt werden.

Zwar mag eine öffentliche Verwaltung, die OSS nutzt, beispielsweise nicht mehr von einem proprietären Software-Hersteller abhängig sein, doch wie verhält es sich mit der Abhängigkeit vom externen OSS-Anbieter, der die OSS in der Regel in ein größeres Angebot verpackt hat? Die Vorstellung, dass eine Behörde eine OSS „nativ“ nutzt, d.h. direkt aus einem OSS-Repository, ist naiv.

Viele Open-Source-Lösungen sind genauso kommerziell ausgerichtet wie proprietäre Software. Mit Souveränität hat das wenig zu tun, wenn wir nicht gerade über die großen Komponenten wie Betriebssystem, Office oder Datenbanken sprechen.

Können Behörden eigene Lösungen entwickeln?

Natürlich können Behörden eigene Entwicklungskompetenzen aufbauen. Doch das erscheint wenig realistisch – es sei denn, die öffentliche Verwaltung würde massiv in das eigene IT-Know-how investieren. Nur drei Prozent der rund 26.000 Informatikstudierenden, die jährlich das Studium beenden, zieht es anschließend in die öffentliche Verwaltung. Allein der Personalbedarf für die erfolgreiche Implementierung und Pflege der OZG-Leistungen beläuft sich hingegen auf mehrere Zehntausend Stellen, wie KPMG im vergangenen Jahr ermittelt hat.

Dass sich Behörden vor diesem Hintergrund in breit aufgestellte Entwicklungsstudios für OSS verwandeln, ist keine ernsthafte Option; schon gar nicht angesichts der doch in Wahrheit äußert knappen personellen und finanziellen Ressourcen.

Dies gilt vor allem dann, wenn bereits entsprechende proprietäre Lösungen existieren. Warum sollten wir das Rad also zweimal erfinden? Um es zu betonen: Das alles spricht nicht gegen den Einsatz von Open-Source-Software, aber für den gleichberechtigten Einsatz proprietärer Software – und eine differenzierte und ideologiefreie Antwort auf die Frage, wie digitale Souveränität zu erreichen ist. In der Realität gibt es keine 100% oder 0% OSS und wenn wir schon in einer Grauzone leben, sollten wir darauf verzichten, kategorische Vergabekriterien zu definieren.

Wo Kritiker proprietärer Software irren

Ein Argument, dass Kritiker gegen proprietäre Software vorbringen, betrifft die vermeintlich höheren Kosten. Dabei wird übersehen, dass es nicht wenige Fälle gibt, in denen OSS sich als deutlich teurer herausstellt. Dazu zählen zum Beispiel die Kosten für Lizenzen sowie Support- und Wartungsmaßnahmen.

Der nicht einsehbare Quellcode und die damit einhergehende Befürchtung, die Verwaltung könne sich mit ihren Daten einer Art Blackbox-Lösung ausliefern, ist ein weiterer Kritikpunkt. Durch vertragliche Vereinbarungen lässt sich dies jedoch ausschließen. Quellcode-Einblicke im Rahmen eines Code-Audits sind ein Beispiel dafür. Durch diese Audits lassen sich der Datenschutz und die IT-Sicherheit der jeweiligen Software von Anfang an sicherstellen.

Die Rolle von Software ‚Made in Germany‘

Viele Unternehmen in Deutschland und Europa tragen durch proprietäre Softwareleistungen dazu bei, Abhängigkeiten von amerikanischen und asiatischen Anbietern zu reduzieren und mehr Selbstbestimmung bei der Digitalisierung zu erlangen. Eine komplette Umstellung der öffentlichen Verwaltung auf OSS würde die hiesige IT-Branche im internationalen Wettbewerb noch empfindlicher schwächen und zum Beispiel Software „Made in Germany“ ausbremsen. Vielmehr sind die deutschen und europäischen Softwareunternehmen auf die Unterstützung der öffentlichen Verwaltungen angewiesen, um digitale Innovationen vorantreiben und leistungsstarke Angebote entwickeln zu können.

Zielführend kann es deshalb nur sein, ein intelligentes Gleichgewicht zwischen OSS-Lösungen und proprietärer Software zu schaffen.

Die öffentlichen Verwaltungen in Deutschland sollten sich dieses Miteinander verschiedenster Ansätze bei der Entwicklung und der Monetarisierung von Software zunutze machen. Sowohl OSS als auch proprietäre Software haben ihre Daseinsberechtigung – und gerade die Balance zwischen beiden Welten kann wichtige Beiträge für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die öffentlichen Verwaltungen selbst leisten.

Im Zusammenspiel können proprietäre Software und Open-Source-Lösungen die digitale Souveränität stärken, die Geschwindigkeit bei der Digitalisierung erhöhen, die Cybersicherheit und obendrein die Innovationskraft der IT-Branche hierzulande nachhaltig fördern. Die digitale Verwaltung darf sich nicht länger selbst ausbremsen, sondern gehört pragmatisch vorangebracht – mithilfe von OSS und proprietärer Software, die einander ergänzen.

                    Neues von der Software AG
                

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