Corporate Digital Responsibility - für eine faire und gerechte Zukunft
            

Prof. Dr. Thomas Beschorner ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St.Gallen. Nachhaltigkeit zu definieren, sei keine leichte Aufgabe, schon gar nicht in Kombination mit der Digitalisierung, sagt er. Bei Corporate Digital Responsibility (CDR) geht es darum, diese beiden grundlegenden Aspekte in Einklang zu bringen. Im folgenden Interview erklärt er, warum es längst überfällig ist, CDR die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient.

 

Herr Beschorner, können Sie in drei Sätzen sagen, wie und warum Nachhaltigkeit und Digitalisierung miteinander zusammenhängen?

(lacht) In drei Sätzen ist das ist gar nicht so einfach – ich versuch’s: Nachhaltigkeit ist eng mit Fragen der Gerechtigkeit und Fairness verbunden. Sie betrifft sowohl die Menschen, die jetzt auf diesem Planeten leben, als auch die zukünftigen Generationen. Verknüpft mit der Digitalisierung geht es also darum, über eine wünschenswerte digitale Zukunft nachzudenken, in der es fair und gerecht zugeht.

In jüngster Zeit wird nicht nur über Corporate Social Responsibility (CSR) diskutiert, sondern auch zunehmend über Corporate Digital Responsibility (CDR). Ist das in Ihren Augen nur ein vorübergehender Hype oder eine relevante Entwicklung?

Eindeutig letzteres. Seit Jahren debattieren wir über CSR, und der Fokus lag und liegt hier meist auf den Auswirkungen und der Verantwortung, die unternehmerisches Handeln auf Ökologie, Ökonomie und Soziales hat oder haben sollte. Insbesondere Klimawandel und Menschenrechte sind Themen von überragender Bedeutung. Trotzdem ist es überfällig, CDR mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Wieso?

Wir erleben es doch tagtäglich: Die technologischen Veränderungen sind rasant und gravierend. Seit zwei Jahrzehnten prägt die Digitalisierung unser Leben tiefgreifend. Vieles ist positiv: Sie hilft uns zum Beispiel, einfacher und besser zu navigieren, die Effizienz und Produktivität von Unternehmen zu steigern oder auch Energie einzusparen. Aber es gibt auch eine Reihe negativer Entwicklungen. Und all das ist erst der Anfang. Es kommt noch einiges auf uns zu.

Zum Beispiel?

Nun, zum Beispiel Roboter, die als Kollegen neben uns sitzen werden, oder die sich um alte Menschen kümmern. Was macht das mit uns? Oder die Fortschritte im Bereich Künstliche Intelligenz und neuronale Netze: Was bedeutet das für unser Verständnis von Bewusstsein und Mensch-Sein? Oder das Metaversum – gesetzt dem Fall, dass wir immer öfter als Avatare miteinander interagieren, was heißt das für unser Verständnis von Realität? Vielfältige Themen laden uns ein, ja fordern uns geradezu heraus, dass wir über uns und die Welt, in der wir leben wollen, nachdenken und Entscheidungen treffen. 

Bitte definieren Sie doch einmal CDR.

Wichtig ist es, dabei zwei grundlegende Dinge miteinander zu verknüpfen: Erstens, schlechte Praktiken im Bereich Digitalisierung zu vermeiden und gute umsetzen, und zwar nicht als One-Shot, sondern dauerhaft und langfristig. Zweitens müssen die Praktiken im Kerngeschäft des jeweiligen Unternehmens liegen und positiven Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen haben. Wohlverstandene CDR und CSR sind also nicht additive, sondern integrale Bestandteile der Geschäftstätigkeit, die alle denkbaren Abteilungen eines Unternehmens betreffen: Human Resources ebenso wie Forschung und Entwicklung, den Einkauf wie das Marketing und so weiter. „Wir verbinden Menschen und Technologie für eine intelligentere Zukunft”, schreibt die Software AG. Eine wesentliche Frage wäre damit, wie die Verbindungen positiv und inklusiv gestaltet werden können, sodass sich Menschen im sozialen Miteinander entfalten können. Und natürlich geht es um einen Dienst von Technologien für den Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes „lebensdienlich" sein sollen.

Wie unterscheidet man schlechte von guten Praktiken?

Systematisch, indem man eine professionelle Folgenabschätzung durchführt. Auf einer eher individuellen Ebene, indem man sich beispielsweise als Entwickler, Abteilung oder CEO fragt, welche Wirkungen die eigenen Produkte für die Gesellschaft haben. Indem man sich in diejenigen hineinversetzt, die die Software nutzen: Mitarbeitende und Kunden. Würde ich selbst zum Beispiel Objekt eines Überwachungssystems sein wollen? Oder: Welche Effekte wird meine App bei Kindern und jungen Menschen haben? Würde ich mein Kind mit ihr spielen lassen wollen?

Die Antworten darauf dürften selten eindeutig ausfallen. Was dann?

Das behaupte ich auch nicht. Entscheidend ist, den Dialog zu suchen und zu führen, denn sonst werden wir Gutes von Schlechtem, Akzeptables von Inakzeptablem nicht unterscheiden können. Hier noch ein Gedankenexperiment, das ich manchmal in meinen Seminaren durchführe: Könntest Du deine geschäftlichen Entscheidungen, zum Beispiel für einen Algorithmus, der Bewerber vorsortiert und möglicherweise diskriminierend wirkt, beim Abendessen mit Deiner Familie oder Freunden guten Gewissens erklären und rechtfertigen? 

Manche Kritiker wenden ein, CDR sei kontraproduktiv für die Profitabilität eines Unternehmens. Wie sehen Sie das?

Ein Unternehmen, das in dieser Frage nicht wirklich auf die Gesellschaft hört und verantwortungsbewusst handelt, wird auf lange Sicht vom Markt verschwinden. Und was noch wichtiger ist: In Unternehmen hält nach meiner Beobachtung langsam, aber stetig ein neues Denken Einzug, nicht nur kurzfristig auf Gewinne zu schielen, sondern über den gesellschaftlichen Zweck des Unternehmens nachzudenken. Wer sind wir als Unternehmen, was sind unsere Werte? Wie können wir als Unternehmen einen positiven Beitrag in der Gesellschaft leisten oder zumindest nichts Negatives oder Zerstörerisches zu gesellschaftlichen Entwicklungen beisteuern? Es ist dringend notwendig, dass Unternehmen Fragen von Verantwortung wirklich ernstnehmen und CSR nicht nur auf ein Win-Win-Wonderland reduzieren.

Wie präsent ist CDR aktuell in Unternehmen?

Wir stehen noch am Anfang, scheint mir. Der Schwerpunkt liegt im Moment vor allem auf Fragen der Privatsphäre und des Schutzes von Kunden- und Mitarbeiterdaten. Zusätzlich gibt es vereinzelt eine Debatte über die Gefahr, wie Algorithmen zum Beispiel in Bewerbungsprozessen zur Diskriminierung beitragen können. Ich persönlich finde auch das Thema Blockchain und die künftige Organisation von Lieferketten interessant. Auch hier zeichnen sich relevante Fragen rund um eine nachhaltige Digitalisierung ab. Konsumentinnen und Konsumenten können durch fälschungssichere und rückverfolgbare Systemeperspektivisch die Herkunft von Produkten nachvollziehen und diese für nachhaltige Kaufentscheidungen heranziehen. Unternehmen können Produktqualitäten und Herkünfte besser kontrollieren.

Angenommen, ein Unternehmen möchte sich intensiver mit diesen Fragen auseinandersetzen. Was sollte es tun?

Erstens sollte es ernsthaft über die eigenen Werte nachdenken: Wer sind wir und wo wollen wir hin, und es sollte Antworten auf diese Fragen in einem Leitbild niederschreiben. Der zweite Schritt besteht darin, die für das jeweilige Unternehmen wichtigen Themen zu ermitteln, und das muss in einem echten Dialog mit den Interessengruppen geschehen. Ich schlage vor, einen Stakeholder-Tag zu veranstalten und bewusst auch kritische Stakeholder einzuladen. Und drittens muss man natürlich über Strategien undPraktiken nachdenken, um das Ganze wirklich auf den Punkt zu bringen und in der Praxis umzusetzen. Was das bedeutet, hängt von den ermittelten Problemen und vom Unternehmen ab.

Eine lange Liste und ein langer Weg?

Es ist ein fortlaufender Prozess, das muss sich ein Unternehmen klarmachen. Es gibt deshalb auch keinen Grund zu denken, der Umgang mit CDR müsse von heute auf morgen perfekt sein. Die Software AG ist, soweit ich das sehe, in dieser Hinsicht auf einem guten Weg. Das Thema Nachhaltigkeit wird strategisch und strukturell im Unternehmen verankert, mit all seinen Implikationen für die konkrete Praxis. Fakt ist: Man wird wie jedes Unternehmen permanent nach guten Lösungen suchen müssen, Dinge ausprobieren, sie wieder verwerfen, mit neuen Ansätzen experimentieren. Es ist eine Reise, auf der wir uns befinden. Den Weg müssen wir erkunden, aber die Richtung ist klar: ohne eine wohlverstandene und ernsthaft Unternehmensverantwortung laufen wir orientierungslos in die Irre.

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